Ivan Boszormenyi-Nagy ist tot

Der 1920 in Ungarn geborene Boszormenyi-Nagy war Professor für Psychiatrie an der Universität in Philadelphia. Sein Buch "Unsichtbare Bindungen. Die Dynamik familiärer Systeme", mit Geraldine Spark, 1973 in den USA erschienen mit dem Titel "Invisible loyalties: Reciprocity in intergenerational family therapy", ist ein Klassiker der Literatur zur Familientherapie (Rezensionen).


Nachruf von Dr. Marie-Luise Conen, context/Berlin

Ivan Boszormenyi-Nagy 1921-2007

Ivan Boszormenyi-Nagys „Unsichtbare Bindungen“ (gemeinsam mit Geraldine Spark) war wegweisend für viele Familientherapeuten in der ganzen Welt. Er starb am 28. Januar 2007 in seinem Haus in Glenside/ Philadelphia an Komplikationen im Zusammenhang mit seiner Parkinson-Erkrankung. Er wurde 86 Jahre alt.

Ende der 1940er Jahre war Ivan Boszormeny-Nagi als Ungar über die Schweiz und Deutschland in die USA emigriert und wurde in den 1950er und 1960er Jahren einer der Pioniere der Familientherapie. Psychiater wie er, Murray Bowen  und Lyman C. Wynne (verstarb am 17.1.2007) gingen über eine individualpsychologische Behandlung hinaus, wenn er schwere psychische Störungen, insbesondere Schizophrenie, behandelte.

Als ich 1977 erstmals in Philadelphia von Ivan Boszormenyi-Nagy hörte, war er einer der innovativen Psychiater am EPPI (Eastern Pennsylvania Psychiatric Institute), das damals eines der größten psychiatrischen Krankenhäuser der USA war. Das EPPI befand sich damals in großen Umbrüchen, wenig später wurde er am berühmten Hahnemann College Hochschullehrer. Bis ich ihn zehn Jahre später zu einem ersten Workshop nach Berlin einlud, hatte ich – wie viele andere auch - sein Buch „Unsichtbare Bindungen“ „verschlungen“. Dieses Buch – „sein Werk“ sollte für viele der damals, meist noch zuerst in anderen therapeutischen Verfahren ausgebildeten Therapeuten wegweisend sein und bildete für viele psychodynamisch orientierte Kollegen ihre Grundlage, sich familientherapeutischem Denken und familientherapeutischen Methoden zuzuwenden.

In Deutschland wurde sein Konzept lange Zeit mit der Göttinger Gruppe um Eckhard Sperling, Almuth Massing und Günter Reich verbunden. Diese luden ihn auch wiederholt zu Fortbildungsveranstaltungen nach Göttingen ein. In den 1980er und teilweise 1990er Jahren war er vielfach Gast auf den internationalen Kongressen in der ganzen Welt – und auch immer wieder bei den Kongressen der Heidelberger Gruppe Helm Stierlins, der als einer der deutschen Pioniere ebenfalls Ivan Boszormenyi-Nagy nach Heidelberg einlud.

Ivan Boszormenyi-Nagy hat mit seiner „Kontextuellen Familientherapie“ eine Therapieform entwickelt, die sich bei massiven psychischen Störungen als wirkungsvoll erwies und die die gesamte Familie eines Psychiatrie-Patienten als Unterstützende in die Behandlung einbezog. Er hat die destruktiven Muster der Familieninteraktionen, oftmals über mehrere Generationen wirkend, betrachtet. Dem zu Folge holte er Großeltern und Kinder, sowie Geschwister der Patienten in die Therapie. Indem Ivan Boszormenyi-Nagy in den Familien eine Balance erarbeitete zwischen Loyalitäten und ethischen Verpflichtungen zwischen den Familienmitgliedern, konnte er dazu beitragen, dass sich die Symptome der Patienten linderten, wenn auch nicht immer heilten. Seine Arbeit fügte die ethische Dimension von Beziehungen in unserer aller Arbeit hinzu: Loyalität, Vertrauen, Fairness – dies stand für ihn im Mittelpunkt des therapeutischen Prozesses. Die kontextuelle Familientherapie stellt mit ihren ethischen und loyalitätsbezogenen Dimensionen eine Familientherapieform dar, die nicht für jeden leicht erlernbar erschien. Oftmals schaute ich bei seinen Life-Konsultationen fasziniert seiner Arbeit zu, die von einer leichten Schweben und gleichzeitig tiefen Gründlichkeit geprägt war – und die bei den Klienten und ihren Familien tiefgreifende Veränderungen in ihren Haltungen und Einstellungen zueinander bewirkte. Vor allem bei Familien, in denen über Generationen (selbst-) destruktive Handlungen sich tradierten, fand er einen Zugang, diesen Hoffnung auf sich selbst und die ihnen nachfolgende Generation zu geben. Seine Form der Familientherapie hatte nicht das „spritzige und feuerwerkartige“ mancher anderer großen Pioniere, in seiner Ruhe und In-Sich-Getragenheit fand er Zugang auch zu denen, die von vielen bereits aufgegeben worden waren. 

Sein Werk umfasste sechs Bücher, davon das eigentlich wichtigste „Between Give and Take“ wurde leider bisher, vielleicht auch wegen seines großen Umfangs, nicht ins Deutsche übersetzt; daneben schrieb er über 80 Artikel, von denen eine Reihe ins Deutsche übersetzt  erschienen. Sein Tod war der „New York Times“ eine Meldung wert. Seine Frau Catherine Ducommun-Nagy wird sicherlich vieler seiner Ideen weiter vermitteln.