Heinz Kersting - Nachruf
Prof. Dr. Heinz Jürgen Maria Kersting
(31.05.1937 - 04.12.2005)
„Zirkularität als Standpunkt“
könnte eine von zahlreichen Beschreibungen seiner systemischen Weltanschauung sein, um ein Bild von Heinz J. Kersting zu entwerfen. Ursprünglich war dies der paradoxe Name eines seiner Projekte am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Hier infizierte er von 1981 bis 2000 als Professor für Didaktik und Methodik der Sozialen Arbeit unzählige StudentInnen mit der überaus gesunden Idee des Konstruktivismus. Wer Heinz kennt, verbindet mit dieser Rolle gleich Bilder des begeisternden Dozenten, wie er sich – nur auf der vordersten Fläche des Stuhles sitzend – extrovertiert gestikulierend einem langen, leidenschaftlichen Vortrag aus dem reichhaltigen Schatz seiner Erfahrungen hingibt…
In „Der Zirkel des Talos“ (1) bezeichnete Heinz das Labyrinth als „gezeichnetes oder steingewordenes Bild“ dieser Paradoxie. Er verband mit dem Symbol des Labyrinths keineswegs Ideen einer Sackgasse: „Dabei ist es nicht bedeutsam, dass der Ausweg fast unmöglich ist, sondern dass es ihn letztendlich doch gibt.“ Vielmehr assoziierte er damit: „Gespräche, die in verschlungenen Windungen Gedanken an Gedanken reihen und vagabundierenden Worten zu verwegenen Ausgängen verhelfen“ (1).
Diese Art von Gesprächen kennen die Menschen, mit denen Heinz gearbeitet und gelebt hat. Heinz steckte sein Gegenüber an mit der Begeisterung, in der er Gedanken nachging und mündlich wie schriftlich in Worte fasste. Als TeilnehmerInnen seiner Supervionsausbildung am Institut für Beratung & Supervision Aachen (ibs) haben wir uns manchmal zugeblinzelt, wenn er vom Dialog allmählich in einen scheinbar nicht enden wollenden Monolog verfiel … - doch was er uns in seinem Aachener Dialekt zu sagen hatte, war alltagstauglich und brauchbar, es bereicherte unser systemisches Denken und Handeln auf eine lebendige Art und Weise, die unvergleichbar und nachhaltig bleibt. Ulrike Brandenburg beschrieb ihre Begegnung mit Heinz bei der Auferstehungsfeier am 16.12. in Aachen: „Heinz ist mir passiert!“ – Eine treffende Beschreibung für die Lebendigkeit und Dynamik, die seine Kontakte auszeichnete!
Heinz J. Kersting als Berufsmensch profilierte sich durch zahlreiche professionelle Erfolge, Ehrungen, Titel und Veröffentlichungen, durch Mitgliedschaften, Gastprofessuren, Einladungen zu Kongressen und Vorträgen. Am 22.10.2005 war es Heinz trotz seiner Krebserkrankung glücklicherweise noch möglich, das 20jährige Jubiläum des Instituts mit einem großen Festakt zu feiern. 1985 hatte er das ibs mit Lothar Krapohl gegründet, bis zuletzt leitete er es als wissenschaftlicher Direktor zusammen mit Georg Nebel. Ein besonderer Stolz galt seinem systemischen Online-Journal, dem „gepfefferten Ferkel“ (2), das er 2001 ins Leben rief.
Betrachtet man die außerordentliche Vielfalt seines beruflichen Werdeganges, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich das Motto Heinz von Foersters „Mehret die Möglichkeiten!“ wie ein roter Faden durch das Leben Heinz J. Kerstings gezogen hat. Wer im Einzelnen nachlesen möchte, wie er seinen Weg als Priester, Erziehungswissenschaftler, Supervisor, Coach, Balintgruppenleiter, Verleger, Organisationsberater, Dozent oder Professor gestaltete, der wird Gefallen an seiner ansprechenden Homepage (3) finden.
Heinz hat viel Bewunderung für seine Erfolge bekommen und hat sich daran gelabt. Ein Kollege mailte mir nach seinem Tod: „Ohne Heinz Kersting fehlt ein wichtiger Eckstein der Supervisionsszene.“ Ich stimme dem voll zu. Heinz wird uns an allen Ecken und Enden fehlen und er wird nicht ersetzbar sein!
Was mich neben meiner Bewunderung für seine berufliche Laufbahn viel tiefer noch berührt, immer wieder verblüfft und fasziniert, ist die Leidenschaft und Herzlichkeit, die Heinz im Kontakt ausstrahlt. Ich möchte das nicht in die Vergangenheit setzen, weil es für mich da ist! Die vielen, vielen Menschen, die Heinz mit Hingabe und Leidenschaft begeistert, angesteckt, bereichert und beschenkt hat, bleiben beschenkt und werden seine Wärme und Innigkeit nicht vergessen. Wer von ihm gelernt, mit ihm gelehrt, geschrieben oder gearbeitet, diskutiert, gelacht, getanzt, gegessen oder gefeiert hat, bei dem bleibt etwas von Heinz Lebendigkeit.
„Das Labyrinth ist das Symbol von Tod und Auferstehen.(…) Es macht Sinn, wenn der Trojaner Aeneas gerade dorthin kommt, um seine Fahrt in die Unterwelt anzutreten, bevor er zum mythischen Gründer des Römischen Weltreichs wird.“ (1) Und wenn es so etwas wie einen Himmel für Konstruktivisten gibt, wünsche ich Heinz, dass er dort als Beobachter 4. Ordnung aufmerksame Zuhörer, treue Freunde, eine Atmosphäre der Liebe und guten spanischen Rotwein vorfindet.
„Nach dem Ende der absoluten Gewissheiten, habe ich eine letzte Gewissheit zurückgewonnen, nämlich die, an eine letzte Gewissheit zu glauben. Es ist ein christlicher Glaube, der sich von allen Dogmen befreit hat“ (Heinz J. Kersting) (4).
Ulrike von der Mosel
im Dezember 2005
(1) Heinz J Kersting: Der Zirkel des Talos -
Gespräche mit systemischen Therapeutinnen.
Aachen: Kersting, 1999. Seite 14-15
(2) www.ibs-networld.de/ferkel
(3) www.heinz-kersting.de/index.htm
(4) Tom Levold im Gespräch mit Heinz J. Kersting über Niklas Luhmann