Super Nanny - Anleitung zum Kampf im Kinderzimmer



Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie zur RTL-Realityserie "Die Super Nanny"

In den letzten Monaten sind mehrere Folgen der RTL-Realityserie "Die Super Nanny" zur besten Sendezeit jeweils am Mittwoch um 20.15 Uhr ausgestrahlt worden. Etwa 5 Millionen Zuschauer sollen die einzelnen Folgen jeweils gesehen haben. Die DGSF nimmt dies zum Anlass, ihre großen Bedenken sowohl an der Art als auch an den Inhalten dieser Sendung auszudrücken.

Inhaltlich vermittelt die Serie ein überholt geglaubtes autoritäres Erziehungskonzept: Erziehung ist ein Kampf (wörtlich aus dem Munde der Super Nanny: "Das ist Krieg!"), in dem es für die Eltern ums Gewinnen geht. Der 6-jährige Max erfährt in dem bereits dreimal ausgestrahlten Pilotfilm immer drastischere Maßnahmen, bis er den Kampf weinend aufgibt. Das ist bei so viel körperlicher Überlegenheit der Erwachsenen noch möglich. Aber was geschieht, wenn er 16 Jahre alt ist? Bei einer solchen Erziehung hat er bis dahin gelernt: In dieser Welt herrscht allein das Recht des Stärkeren. Alle wissenschaftlichen Befunde verweisen darauf, dass er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Feld suchen wird, wo er diese Lehre praktizieren kann.

Und weiter: Regeln werden von der Super Nanny gesetzt und in einem langen Katalog aufgeführt, ohne sie mit den Beteiligten zu erörtern. Die Erwartungen und Erziehungsvorstellungen der Eltern werden nicht erfragt, scheinen keine Rolle zu spielen. Der Blick der Super Nanny auf die Familie ist zudem ausschließlich defizitorientiert: Drei Tage beobachtet sie die Familie, um dann der Mutter von vier Kindern in einer außergewöhnlich überheblichen Art ihre "Fehler" vorzuhalten. Die Diplom-Pädagogin nimmt nicht zur Kenntnis, dass die Forschung der letzten Jahrzehnte mit größter Deutlichkeit gezeigt hat, dass es ungleich hilfreicher ist, auf die Stärken zu schauen und das Verhalten hervorzuheben, das erfolgreich ist.

Zudem betrachtet sie das Verhalten des 6-jährigen Max ganz als individuelles Problem, losgelöst von dem Verhalten der anderen und auch nicht im Zusammenhang der Familiengeschichte. Auch hier ignoriert sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass das Verhalten von Kindern nur im Kontext des Verhaltens der Familienmitglieder zu verstehen ist. So entgeht ihr denn auch die Möglichkeit, näher zu untersuchen, warum Max beim Kuchenbacken mit dem Vater (und angeblich auch sonst in seiner Anwesenheit) ein angepasster, netter Junge ist, der aber extreme Verhaltenauffälligkeiten zeigt, wenn der Papa das Haus verlassen hat.

Kurz: Das Vorgehen der Super Nanny ist unprofessionell, vor allem aber gefährlich. Denn es wird eine schwarze Gehorsamspädagogik in die Wohnzimmer von Millionen von Zuschauern transportiert, die an das erinnert, was in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in deutschen Familien geschah - mit allen langfristigen Folgen. Zudem demonstriert sie ein Erziehungsmodell, das im Umgang mit älteren Kindern nicht nur in seinen Folgen gefährlich, sondern zum Scheitern verurteilt ist. Entsprechend hört man aus Erziehungsberatungsstellen von ersten Anmeldungen von Eltern, die das Modell Super Nanny erprobt haben und nun endgültig vor einem Scherbenhaufen stehen.

Die Serie verletzt aber auch grundlegende ethische Forderungen und Maßstäbe: Konnte der sechsjährige Junge seine "informierte Zustimmung" dazu geben, in derartiger Weise vor Millionen von Zuschauern vorgeführt zu werden? Was bedeutet das für ihn in zehn Jahren? Wie viele Kameraleute, Beleuchter und sonstige Fernsehmitarbeiterinnen und -mitarbeiter waren all die Tage ständig um ihn herum, wenn er tobte, spuckte und in seinem Zimmer wütete? War das für ihn Spiel, Inszenierung, Theater oder "wahres Leben"? Konnten die Eltern beurteilen, worauf sie sich für 2000,- Euro eingelassen haben? Waren Sie psychisch und formal in der Lage, die Aufnahmen jederzeit abzubrechen?

Zweifellos greift die Serie ein Thema auf, das höchst aktuell ist: Die tiefe Erziehungsverunsicherung vieler Eltern heutzutage. Dies erklärt - neben dem voyeuristischen Aspekt und der Befriedigung darüber, dass es anderen noch schlechter geht - die große Resonanz bei den Zuschauern. Auch spricht sie Dinge an, die in der Erziehung wichtig sind: Struktur, Regeln, Eindeutigkeit und die Bereitschaft, auch mal einen Konflikt mit dem Kind auszutragen. Aber es fehlt völlig der Rahmen von Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Kind, in den dies eingebettet sein muss. Das Fernsehen hat prinzipiell große Chancen und wunderbare Möglichkeiten, Erziehungseinstellungen und Erziehungshaltungen zu vermitteln, die für Millionen von Eltern hilfreich sein können. Diese Chance wird mit der Realityserie "Die Super Nanny" nicht nur vertan, sondern durch Inhalt und Form der Sendung ins Gegenteil verkehrt.

(6.1.2005)