Rezension von Dr. med. S. Altmeyer (27.Juli 2001)
**Dr. med. S. Altmeyer** Ärztin für Neurologie, Psychotherapie, Familientherapie, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universitätsklinikum der RWTH Aachen Schon auf den ersten Blick bin ich angetan. Der Einband: ein Blau in den Schattierungen von Himmel und Meer umschließt das Häusersystem einer Stadt in Nordafrika – ein Aquarell von Paul Klee. Hier waren Ästheten am Werk, und mit ästhetisch schönen Dingen sind wir im Gesundheitssystem Tätige ja nicht gerade verwöhnt.Andererseits passt es auch: die systemische Therapie versteht sich als eine Heilkunst, bei der auch auf das Wohl der Therapeuten geachtet wird. Das sind erste Hinweise darauf, dass dieses Buch nicht nur Arbeit sondern auch Vergnügen bereiten könnte. Das Werk umfasst insgesamt 13 Beiträge, die in vier Oberkapitel unterteilt und mit illustren Namen überschrieben sind . Den Reigen eröffnet im Kapitel "Systemische Medizin" Donald Bloch, ehemaliger Direktor des Ackermann Institute for Family Therapy in New York und früherer Präsident der American Family Therapy Academy mit einem kurzweiligen und sehr informativen Abriss über die Entwicklung der Systemischen Familienmedizin in den USA. Fritz Simon, der als Vizepräsident des Europäischen Familientherapie Verbandes ein europäisches Pendant zu ihm darstellt, betrachtet im zweiten Beitrag aus einer systemisch-konstruktivistischen Metaperspektive in origineller Art und Weise die Bedeutung der Phänomene Krankheit und Gesundheit. "Jeder scheint zu wissen, wovon er spricht, bis man ihn fragt." John Rolland, Co-Direktor des Chicago Center for Family Health, stellt ein umfassendes Modell für die Behandlung von Krankheit und Behinderung in der Familie vor, und Rosemarie Welter-Enderlin als schweizerische Systemtherapeutin gibt einen anschaulichen Einblick in ihre Arbeit mit Paaren, in denen einer der Partner an einer chronischen Erkrankung leidet. Den Abschluss dieses Kapitels gestalten Stefan Theiling und Arist von Schlippe in ihrem Beitrag über die Umsetzung der systemischen Familienmedizin in der Pädiatrie: z.B. die "Luftiku(r)se" bei Asthmabetroffenen Kindern und Jugendlichen oder die "Süßmuths" bei Diabetes mellitus. Kapitel II mit der Überschrift "Kooperation in der Systemischen Medizin" beginnt mit einer Demontage des Alltagsverständnisses des Begriffes Kooperation durch Jochen Schweitzer. Nachdem er eindrücklich gezeichnet hat, was Kooperation nicht ist, gelingt es den Herausgebern Susan McDaniel mit Jeri Hepworth im zweiten und Askan Hendrischke und Friedebert Kröger im dritten Beitrag auf plastische und praxisnahe Art und Weise zu zeigen, wie Kooperation als Teil des systemischen Paradigmas gelingen kann. "Familienforschung in der systemischen Medizin" ist die Überschrift von Kapitel III. Hier stellen Thomas Campbell aus Rochester N.Y., die Gruppe um Friedhelm Topp aus der Heidelberger internistischen Psychosomatik und Dieter Wälte in Zusammenarbeit mit den Herausgebern in ihren Beiträgen jeweils Forschungsergebnisse vor, die deutlich machen, dass sich systemisch orientierte, interdisziplinäre, kontextbezogene Arbeit in der Medizin auszahlt. Im vierten und letzten Kapitel "Zukunftsperspektiven" hat der erste Beitrag "Die Zukunft gestalten – Strukturen eines sozialen Gesundheitssystems" von Michael Wirsching, Ellis Huber und Thure von Uexküll mit seinen mutigen Visionen und dem Appell "neu denken, neu handeln, neu organisieren" Pflichtlektürenpotential für alle, die (psycho-)therapeutisch im Gesundheitssystem tätig sind. Und last but not least stellen Charles Peek und Richard Heinrich (psychologische Mitarbeiter in einem großen US-Krankenversicherungsunternehmen (!)) vor, wie ein erfolgreiches Pilotprojekt der integrierten biopsychosozialen Primärversorgung zur Alltagsanwendung gebracht werden kann. **Fazit:** das Lesen war kurzweilig, erforderte manchmal auch hohe Konzentration, bisweilen musste ich laut lachen. Über den grün-blauen Klee gelobt – sicherlich. Aber wenn Faszination auf den ersten auch auf den zweiten und dritten Blick hält, was sie versprochen hat, dann ist das schon besonders genug. Aus der Systemtheorie habe ich gelernt, dass Systeme nicht instruierbar sind, sondern sich die Einflussfaktoren aussuchen, die zu ihnen passen. Deshalb hat es auch gar keinen Zweck, dieses Buch zu empfehlen, aber bestimmt passts zu der oder dem einen oder anderen.