Dr. Marie-Luise Conen zum 75. Geburtstag

Das Leben und Wirken einer Frau, die seit Jahrzehnten für und in der systemischen Szene gewirkt und diese in Deutschland mit aufgebaut hat, mit allen ihren Leistungen angemessen zu würdigen ist durchaus eine Herausforderung. Wir stellen uns ihr, weil es uns ein Anliegen ist, Marie-Luise Conen als Mitbegründerin und Ehrenmitglied der DGSF, für ihr außergewöhnliches fachliches und fachpolitisches Engagement innerhalb unseres Verbandes herzlich zu danken und zu ihrem 75. Geburtstag zu gratulieren! Schön, dass es Sie in der DGSF gibt, Frau Conen!

Marie-Luise Conen wurde 1949 in einem kleinen Ort an der Mosel geboren und hatte, wie sie selbst einmal in einem Interview sagte, eine große Familie. Sie erlebte in ihrem Heimatdorf, dass immer jemand da war und man einander half. Ihre Kindheit war von der vielfach nachkriegsüblichen Armut, den Kriegserlebnissen ihres Vaters und ihrer Onkel und der nicht thematisierten KZ-Inhaftierung ihres Großvaters geprägt. Die eigenen Erfahrungen aus dieser Zeit, das Vertrauen der Eltern in die Fähigkeiten der Tochter aber auch die Entbehrungen, die Scham und Ausgrenzung aufgrund von Armut prägten Marie-Luise Conens berufliches Leben genauso wie die praktischen Erfahrungen in einem Heilpädagogischen Kinderheim während ihres Studiums in den USA und später in Berlin und erklären ihren unermüdlichen Einsatz für Eltern und Kinder mit multiplen Problemen in prekären Verhältnissen.  

Marie-Luise Conen machte zunächst eine Banklehre – das wird viele, die sie kennen, vielleicht erstaunen. Sie holte das Abitur an einem Abendgymnasium nach und studierte zunächst Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik und nahm an einem Studienprojekt in Berlin, das mit einer stadtteilorientierten Arbeit dazu beitragen wollte, im Kiez Familien zu unterstützen und Heimunterbringungen von Kindern zu verhindern. Es gelang ihr ein Fulbright-Stipendium zu erhalten und in Philadelphia „Gruppenarbeit und Gruppenberatung“ zu studieren. Philadelphia wurde damals als das Mekka der Familientherapie gehandelt. Und das zu einer Zeit, in der viele Ansätze der Familientherapie aufbrachen, sich veränderten und innovativ weiterentwickelten. Später studierte sie Psychologie am sogen. Holzkamp-Institut der FU Berlin, wo sie dann auch über „Elternarbeit in der Heimerziehung“ promovierte.

In einem spannenden Interview mit Oda Baldauf-Himmelmann berichtet sie u. a. von dieser Zeit, in der sie die Sozialarbeit in den USA kennenlernte und in einem Heim jungen Mädchen begegnete, die alle sexuellen Missbrauch erlitten hatten und aus Multiproblemfamilien kamen. Ihre akademische Betreuerin war zufälligerweise Patricia Minuchin, die Ehefrau von Salvador Minuchin. Die Heimeinrichtung war sehr geprägt von Minuchins strukturellem Familienverständnis, viele der Mitarbeitenden waren bei ihm ausgebildet worden. Marie-Luise Conen war fasziniert von seiner radikal konsequenten Bereitschaft, mit den Stärken von Familien zu arbeiten. Sie beschreibt in dem Interview: „Ich hatte als Studentin nicht das Geld, um eine Ausbildung an der Philadelphia Child Guidance Clinic zu finanzieren, aber bevor ich nach Deutschland zurückkehrte, war für mich klar: Ich werde Familientherapeutin: Ich hatte Feuer gefangen!“

Dieses Feuer hat sie dann auch konsequent am Brennen gehalten und sich im Kontakt mit den Großen der Familientherapie wie Tom Andersen, Iván Boszormenyi-Nagy, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin, Salvador Minuchin, Peggy Penn, Virginia Satir, Gunther Schmidt, Steve de Shazer, Helm Stierlin, Paul Watzlawick und Carl Whitaker weiterentwickelt. Mit Gianfranco Cecchin z. B. hat sie zwei wichtige Fachbücher1 zur Arbeit mit Multiproblemfamilien geschrieben. Besonders beeindruckend und für die systemische Jugendhilfe richtungsweisend ist ihr Einsatz im Kontext der Aufsuchenden Familientherapie, die sie in Deutschland etabliert hat. Ihr Standardwerk „Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden“ hat viele Fachkräfte motoviert, anders als kompensatorisch und beratend-unterstützend mit Familien im Kontext der aufsuchenden Erziehungshilfen arbeiten zu wollen. Hier hat Marie-Luise Conen in ihrem 1987 gegründeten Context-Institut für systemische Therapie und Beratung in ihren Weiterbildungen und wo immer es Möglichkeiten dazu gab, ihr Motivations-Feuer an Fachkräfte der Jugendhilfe weitergegeben und tut es mit ihren Vorträgen und Seminaren heute immer noch!

Marie-Luise Conen hat sich immer auch stark in Verbänden engagiert, da die Soziale Arbeit mit Menschen für sie grundsätzlich immer auch eine politische Arbeit ist. Von 1991–2000 war sie im Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF), davon sieben Jahre als DAF-Vorsitzende. In dieser Zeit war sie u. a. aktiv beteiligt an der Schaffung der Multicenter-Studie zur Familientherapie, der Erarbeitung des ersten Antrags auf wissenschaftliche Anerkennung der systemischen Therapie (mit Günter Schiepek, Anni Michelmann und Kurt Ludewig) und der Schaffung von ersten Weiterbildungsrichtlinien im systemischen Feld. Die Fusion der beiden Verbände DAF und DFS (Dachverband für Familientherapie und systemisches Arbeiten) im Jahr 2000 und damit die Geburtsstunde der DGSF hat Marie-Luise Conen maßgeblich mit angeschoben. Sie ist bis heute in unserem Verband aktiv und hat wichtige Jugendhilfeentwicklungen innerhalb der DGSF mitgeprägt.  

Es gibt vieles, was Marie-Luise Conen ausmacht! Besonders danken möchten wir ihr an dieser Stelle für ihre Beharrlichkeit, sich laut und deutlich und mit aller Kraft für fachliche Notwendigkeiten und strukturelle Qualität von Erziehungshilfen in Deutschland, und hier besonders für die Aufsuchende Familientherapie, einzusetzen. Sie ist ein politischer Mensch, der immer wieder bis an die eigenen und die Grenzen von Systemen geht in dem Bemühen, Fachkräfte und Leitungskräfte der Jugendhilfe und der Politik auf verschiedenen Ebenen für die Bedarfe von mehrfach problembelasteten, überwiegend armen Familien zu sensibilisieren und strukturelle gesetzliche Rahmenbedingungen als Voraussetzung gelingender Hilfen zu fordern.

So kämpfte sie bis in den Bundestag hinein gegen die im KJSG für das Pflegekinderwesen zunächst vorgesehene rechtlich normierte frühzeitige endgültige Trennung von Eltern und Kindern. Seit 2020 ist sie maßgeblich an der Koordination der Qualitätsoffensive der DGSF für die Aufsuchenden Erziehungshilfen beteiligt. Hier geht es ihr um eine gelingende Verzahnung von Wissenschaft und Praxis, um politische Strategien und eine Solidarisierung von Fachkräften für förderliche Arbeitsbedingungen als Voraussetzung qualifizierter aufsuchender Hilfen.

Marie-Luise Conen zeigt sich, wenn es um ihre fachlich-politischen Themen geht, unbequem und beharrlich, legt Finger in „System-Wunden“ und lässt Menschen ihr Feuer, dass sie für die Themen in sich trägt, spüren. Sie ist aber auch ein sehr aufmerksamer und feinfühliger Mensch, der herrlich querdenken kann und immer wieder neue innovative Ideen hat, wenn man sich z. B. in der kleinen Koordinierungsgruppe der Qualitätsoffensive mal wieder in der Komplexität der Probleme verlaufen hat.

Wir wünsche Ihnen, Frau Conen, dass Sie die nächsten Lebensjahre gesund verbringen können und noch viel gute Zeit mit schönen Reisen und mit ihrer Forschung zu ihren Vorfahren sowie zu Juden von der Mosel, Ihrem Hobby, vor Ihnen liegt. Für uns wünschen wir uns, dass Sie sich weiter in der DGSF für die Jugendhilfe einsetzen, so, wie es Ihre Kraft zulässt. Alles Gute und ein herzlicher Dank im Namen der Geschäftsstelle, des Aufsichtsrates und des Vorstandes!

ba/mr

Bild: Marie-Luise Conen, Mitbegründerin und Ehrenmitglied der DGSF, feiert ihren 75. Geburtstag
Bildquelle: Conen/privat

Fußnote:

  1. Wenn Eltern aufgeben. Therapie und Beratung bei konflikthaften Trennungen von Eltern und Kindern Carl Auer, Heidelberg 2008
    Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden? Therapie und Beratung in Zwangskontexten. Carl Auer, Heidelberg 2007