Richtlinien für eine Aufbauausbildung "KJP"
Juli 2001
(Von den anwesenden Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie auf der Mitgliederversammlung am 07.09.2001 in Dresden verabschiedete Fassung)
1. Präambel
Die nachfolgenden Richtlinien sind ein Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie e. V. für eine einjährige Ausbildung zum systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die auf eine abgeschlossene Ausbildung zum Systemischen Therapeuten/Familientherapeuten entsprechend den Richtlinien der Systemischen Gesellschaft oder der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie aufbaut.
Das Prinzip, die Ausbildung zum Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf eine allgemeine Ausbildung zum Systemischen Therapeuten/Familientherapeuten aufzubauen, soll zum einen sicher stellen, dass die zentrale Errungenschaft des systemtherapeutischen Ansatzes, den Blick auf die gesamte Familie respektive das gesamte Problemsystem zu richten, keineswegs in Frage gestellt wird. Zum anderen soll aber gewährleistet werden, dass in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als identifizierten Patienten die Besonderheiten ihres Entwicklungsstandes, die spezifischen Charakteristika ihrer Probleme und ihre spezifischen, altersabhängigen Kommunikationsformen hinreichend Berücksichtigung finden.
2. Ziel
Durch die Ausbildung werden die TeilnehmerInnen befähigt, eigenverantwortlich mit Kindern und Jugendlichen im gemeinsamen Gespräch mit ihren relevanten Bezugspersonen, im Einzelkontakt und in der Gleichaltrigengruppe psychotherapeutisch zu arbeiten.
3. Zulassungsvoraussetzungen
Zulassungsvoraussetzung für die Aufbauausbildung zum Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist der Abschluss einer Ausbildung zur SystemtherapeutIn/FamilientherapeutIn (die auch langjährig erfahrenen Mitgliedern des Erziehungsdienstes/Pflegedienstes in Heimen und Kliniken geöffnet werden sollte).
Die Aufbauausbildung zum Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychothera-peuten setzt die Möglichkeit praktischer psychotherapeutischer Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen voraus.
4. Umfang
Die Aufbauausbildung zum Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychothera-peuten hat einen Umfang von 200 Theoriestunden und 100 Stunden psychotherapeutischer Tätigkeit unter Supervision, fakultativ ergänzt durch ein Wochenende einer spezifischen auf Kinder und Jugendlichen orientierten Selbsterfahrung.
5. Inhalte der Weiterbildung
5.1 Allgemeiner Teil
5.1.1 Entwicklungspsychologische und entwicklungspsychopathologische Besonderheiten des Kindes- und Jugendalters und deren Bedeutung für den therapeutischen Zugang und die therapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Es sollen Kenntnisse erworben werden über die
- Kognitive Entwicklung (u.a. Berücksichtigung allgemeiner und umschriebener Entwicklungsstörungen),
- emotionale Entwicklung (Bedeutung von kindlichem Befinden auf der jeweiligen Entwicklungsstufe; Entwicklungsabhängigkeit kindlicher Ängste),
- motivationale Entwicklung (verschiedene Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und deren Bedeutung für den therapeutischen Prozess),
- soziale Entwicklung des Kindes- und Jugendlichen (Veränderung der sozialen Orientierung von erwachsenen Bezugspersonen zur Gleichaltrigengruppe) .
5.1.2 Ethische Aspekte einer Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychothera-pie
- Rechte des Kindes und des Jugendlichen,
- Autonomiewünsche von Kindern und Jugendlichen versus Therapeutenabhängigkeit,
- Auftragsdiskrepanzen zwischen Kindern und Eltern,
- Unterscheidung von Therapie und Kontrolle, Problematik ihrer Vereinbarkeit,
- Schaden- Nutzen- Abwägung.
5.1.3 Systemische Diagnostik
- Systemdiagnostik unter Berücksichtigung der Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen von ihrem komplexen Bezugssystemen (Wer gehört zum Problemsystem? Wer gehört zum Helfersystem? Was bedeutet das Symptom für das System und seine Mitglieder? Was bedeuten die Symptome in der Entwicklungsgeschichte des Kindes in diesem System?),
- Ressourcendiagnostik, z.B. ressourcenorientierte Nutzung von Testergebnissen , Überlebensdiagnostik
5.1.4 Kriterien für die Auswahl unterschiedlicher Settingvariationen und für die Konstruktion des Lösungssystems (wer gehört dazu und wer sollte gebeten werden, sich rauszuhalten?) in einer Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und in ihrem Verlauf
- Therapie im Familiensetting,
- Erweiterung des Familiensettings durch Großeltern, Lehrer, Überweiser, Heimerzieher, Jugendamtsmitarbeiter etc.,
- Einzeltherapie,
- Gruppentherapie,
- Systemische Beratung,
- Paartherapie,
- Eltern- Kind- Gruppen,
- reflektierende Therapiesettings,
- Helferkonferenzen,
- jeweils bezogen auf ambulante, teilstationäre und stationäre Settings.
- Home-Treatment.
5.1.5 Besondere Zugangsformen und Therapiemethoden in der systemischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
- Joining über das Eingehen auf das Sprachniveau und die Interessen des Kindes (Nutzung von Märchen, Metaphern, aktuellen Geschichten aus dem Fernsehen),
- kindgerechte Gestaltung bekannter systemtherapeutischer Interventionen und Techniken zur Ressourcenaktivierung wie Refraiming, positive Konnotierung , wunderimplizierende Aufgaben,
- Einbeziehung von Spielsachen, kindgerechten Materialien,
- nonverbale Kommunikationsmittel (Zeichnungen, Bastelarbeiten) ,
- hypnotherapeutische Techniken (Phantasiereise, imaginäre Helfer etc.),
- Externalisierung des Problems,
- Time-Line-Techniken.
5.2 Spezieller Teil
5.2.1 Spezielle therapeutische Vorgehensweisen bei spezifischen Störungen und Konstellationen
- Überblick über die wichtigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalters unter Nutzung der ICD 10- Systematik und ICD 10-Beschreibungen,
- Kenntnisse über die Differentialdiagnose psychischer Störungen,
- Kenntnisse über spezifische therapeutische Ansätze aus anderen Therapierichtungen (einschließlich Pharmakotherapie) und ihre Integration in den systemischen Therapiekontext,
- Indikationsstellung systemischer Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen und spezifische systemtherapeutische Vorgehensweisen bei umschriebenen Störungsbildern von Kindern und Jugendlichen (z.B. Angststörungen, Somatisierungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Selbstverletzung, Störungen nach körperlichen/sexuellen Misshandlungen, posttraumatische Störungen, Drogenmissbrauch/-abhängigkeit Ess-Störungen, ADHS, Enuresis und Enkopresis )
5.2.2 Besonderheiten der stationären Therapie in Heim und Klinik
- Bedeutung des Übergangs von einem Lebensraum in den anderen,
- Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und professionellen Helfern,
- Würdigung der verschiedenen Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit den Familien und anderen Helfersystemen außerhalb des stationären Milieus,
- Ressourcenaktivierende Milieutherapie.
5.2.3 Anpassung des therapeutischen Vorgehens an spezielle Besonderheiten des Lebenskontextes
- alterspezifische Reaktionen auf Trennung, Scheidung und Tod,
- Stellung des Kindes in der Ein-Eltern-Familie, in der Stieffamilie etc.,
- Stellung des Kindes zwischen Heim, Jugendamt und Eltern,
- Kinder und Jugendliche aus Familien unterschiedlicher kultureller Herkunft.
5.2.4 Fakultativ: Schätze aus der Kindheit
Spezifische Selbsterfahrungseinheit im Hinblick auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen)