Interview
DGSF-Mitglied Birgit Barberis-Schlegel ist Ehe-, Familien-Lebensberaterin (Master of Counseling) und Dipl. Sozialpädagogin. Sie arbeitet seit 25 Jahren mit Frauen in Umbruchphasen zusammen und bietet Wochend-Workshops in geschütztem Raum an. Anlässlich des Weltfrauentags haben wir sie gefragt, wie ihre Workshops gestaltet sind und welche Themen ihr aktuell immer wieder begegnen.
Sie bieten seit vielen Jahren Wochenend-Workshops für Frauen an? Wie ist dieses Angebot zustande gekommen?
Barberis-Schlegel: Das Angebot der Wochenend-Workshops für Frauen ist aus meiner langjährigen Berufserfahrung als Pädagogin in der Frauenarbeit und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin entstanden. Ich habe festgestellt, dass Frauen in verschiedenen Lebensphasen vor ähnlichen Herausforderungen stehen und oft einen geschützten Raum benötigen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, zu reflektieren und ihre eigenen Bedürfnisse zu erkunden. Meine Workshops „Entwicklung zum Ich-glücklich im Wir“, bieten genau diese Möglichkeit und sind geprägt von kreativen Prozessen, Achtsamkeit, gegenseitiger Annahme und Spaß. Oft bleiben Ver-Bindungen über die Workshops hinaus bestehen.
In welchen Lebensphasen wenden sich die Frauen an Sie?
Barberis-Schlegel: Frauen wenden sich in unterschiedlichen Lebensphasen an mich. Einige kommen in Zeiten der beruflichen Neuorientierung oder wenn sie sich in herausfordernden Partnerschaften oder Familienkonstellationen befinden. Andere suchen Unterstützung bei der Selbstfindung oder der Bewältigung von Stress und Überlastung im Alltag. Manche sind sehr einsam und fühlen sich gesellschaftlich ausgeschlossen. Generell sind die Frauen offen für persönliches Wachstum und möchten ihre weibliche Identität stärken.
Begriffe wie „weiblicher Mental Load“ sind inzwischen allgegenwertig. Welche Ursachen können Sie in den Gesprächen für die Überlastung von Frauen ausfindig machen und was sind die Wege daraus?
Barberis-Schlegel: In den Gesprächen mit den Frauen kann ich verschiedene Ursachen für deren Überlastung identifizieren. Dazu gehören unter anderem die Doppelbelastungen und Rollenerwartungen in Familie und Beruf, gesellschaftliche Erwartungen an Frauen, sich ständig zu organisieren und zu optimieren, sowie der Druck, ständig perfekt sein zu müssen und alles unter Kontrolle haben zu wollen. Immer mehr Frauen berichten mir, dass sie sich am Limit ihrer Kräfte fühlen. Der Weg aus dieser Überlastung besteht darin, sich von externalen Erwartungen zu lösen und stattdessen die Frage zu stellen: "Wie will ich leben?" Statt sich ständig zu optimieren, sollten Frauen ihre eigenen Bedürfnisse und Werte erkennen und leben, um eine neue Form der Emanzipation zu erreichen.
In welcher Weise ist der systemische Grundgedanke hilfreich bei Ihrer Arbeit?
Barberis-Schlegel: In meiner Arbeit ist der systemische Grundgedanke hilfreich, um die komplexen Zusammenhänge zwischen individuellen Erfahrungen und gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen. Frauen stehen nicht isoliert unter Druck, sondern sind Teil eines größeren Systems, das von männlichen Werten und einer „hegemonialen Männerwelt“ geprägt ist. Es ist wichtig, nicht nur individuelle Lösungen zu finden, sondern auch strukturelle Veränderungen anzustreben, um Frauen aus diesem Teufelskreis der Überforderung und Selbstoptimierung zu befreien. Wir alle benötigen Bühnen, die geprägt sind von Offenheit, Toleranz, Neugier und Fantasie, um gemeinsam neue Perspektiven entwickeln zu können und eine Welt zu gestalten, die von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Gemeinschaft geprägt ist
Was wünschen Sie sich für Ihre Klientinnen und langfristig für die nächste Generation Frauen in Deutschland?
Barberis-Schlegel: Für meine Klientinnen wünsche ich mir langfristig, dass sie ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen können, ohne ständig am Limit zu sein. Langfristig hoffe ich, dass die nächste Generation von Frauen in Deutschland in einer Welt aufwächst, die von Gleichberechtigung, Akzeptanz und Wertschätzung für die Vielfalt weiblicher (neuer) Lebensentwürfe geprägt ist. Es ist an der Zeit, dass Frauen sich von den engen Grenzen einer „hegemonialen Männerwelt“ lösen und ihre eigene Emanzipation auf eine neue Ebene heben, die von Selbstbestimmung, Authentizität und Selbstliebe geprägt ist.
Das Gespräch führte Pola Geisler (Mitarbeiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)