Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie - Konzepte von gestern für Aufgaben von heute
Kaum vorstellbar, dass sich der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie mit seinen anachronistischen wissenschaftlichen Positionen deutlicher hätte bloßstellen können. Mit diesem Lehrverbot für Systemische Therapie / Systemische Familientherapie nun auch in der ärztlichen Weiterbildung entfernt sich der Wissenschaftliche Beirat noch weiter von der Realität der Praxis, in der die hohe Effektivität systemtherapeutischen / familientherapeutischen Handelns dazu führt, dass die systemischen Ausbildungsinstitute unvermindert aufgesucht werden - und das eben auch von in den Richtlinienverfahren ausgebildeten TherapeutInnen. Es ist zu vermuten, dass diese Intervention aufgrund äußeren Drucks erfolgte, der den Wissenschaftlichen Beirat zwang, ärztliche PsychotherapeutInnen mit Psychologischen PsychotherapeutInnen sowie Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen gleichzustellen.
Die Begutachtungspraxis des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie ist mehr als umstritten. Als "gold standard" für die wissenschaftliche Qualität der Psychotherapieforschung fordert er analog zur Wirksamkeitsprüfung medikamentöser Therapien randomisierte, kontrollierte Studien, die laborähnliche Bedingungen voraussetzen und die die Anforderungen der Praxis und das tatsächliche Geschehen dort nicht abbilden.
Kritischen Stimmen gegenüber zeigt sich der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie bemerkenswert resistent. Dies betrifft die Forderung nach der stärkeren Gewichtung der Ergebnisse von Praxis- und Versorgungsforschung ebenso wie die grundsätzlichere Kritik, dass der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie seine Aufgabenstellung verfehlt, wenn er versucht zu definieren, was Wissenschaftlichkeit - bezogen auf die Psychotherapie - ist. Veraltet und von der Wirkfaktorenforschung überholt ist zudem die schulenspezifische Bewertungspraxis des Beirates. Dagegen belegen die Ergebnisse moderner Psychotherapieforschung, dass gerade die Integration verschiedener Verfahren den schulenspezifischen Vorgehensweisen überlegen ist. Und genau das ist es, was PsychotherapeutInnen in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern praktizieren, auch wenn dies in der sogenannten Richtlinienpsychotherapie verboten ist. Mit der viel beschworenen und notwendigen Qualitätssicherung in der Psychotherapie hat das nichts mehr zu tun.
Instabile Systeme erleiden einen Verlust an Flexibilität und gewinnen an Rigidität ihrer Muster. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Tage eines Wissenschaftlichen Beirates gezählt sind, der seine Steuerungsaufgaben mit einem Regelwerk wahrnehmen will, das von der Entwicklung überholt wurde.
Was kann die Aufgabe eines zukünftigen Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie sein? Er müsste sich an die Spitze einer Entwicklung stellen, die praxisnahe Kriterien für die Wirksamkeitsüberprüfung und Qualitätssicherung integrativer psychotherapeutischer Vorgehensweisen entwickelt. Das kann nur gelingen, wenn sich der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie von dem überholten Denkmodell distanziert, dass wissenschaftliche Psychotherapie darin bestehe, geprüfte Theorie und geprüfte Interventionen spezieller Therapieschulen in der Praxis exakt anzuwenden. Dieser Ansatz mag im Psychotherapielabor noch zu reliablen Ergebnissen führen, ist jedoch für die Bewertung der komplexen Psychotherapiepraxis gänzlich ungeeignet. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie ignoriert darüber hinaus eines der am besten gesicherten Ergebnisse der Psychotherapieforschung, nämlich den Effekt der gelungenen TherapeutIn-PatientIn/KlientIn Beziehung auf den Erfolg der Therapie, wenn er seine schulenspezifische Bewertungspraxis beibehält. Psychotherapie ist eben nicht wirksam durch eine korrekt schulenorientierte Ausübung, sondern im Gegenteil erhöht ein größeres methodisches Repertoire und ein größeres Methodenangebot die Möglichkeit für den Patienten/Klienten, die am besten geeignete Therapie zu finden.
Wenn der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie seine Bewertungspraxis auf die Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse stellen will, dann muss er sein bisheriges Selbstverständnis radikal ändern und sich als Instrument der Qualitätssicherung in der Psychotherapie neu konstituieren. Oder sollten vielleicht doch andere Motive die Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats bestimmen?
Was heißt dies für das Vorgehen der DGSF? Für die Beteiligung an der Diskussion, welche Therapieschule einer anderen überlegen ist, gibt es ebensowenig einen Grund wie für ein starres Festhalten an einer Schulenorientierung in der Psychotherapeutischen Praxis. Das schließt nicht aus, dass ein Verfahren gegenüber einem anderen für bestimmte Indikationen und in bestimmten Konstellationen von Vorteil sein kann. Zugleich ist es aber weiterhin wichtig, dass PsychotherapeutInnen den theoretischen Ansatz einer Therapieschule in fundierter Weise zur Basis ihres Denkens und Handelns machen, um Vorgehensweisen aus jeweils anderen Therapieschulen angemessen integrieren zu können. Das bedeutet auch, dass niemand seine persönliche Neigung zu einem bestimmten Verfahren verleugnen muss, um qualitativ gute und wirksame Psychotherapie zu machen.
Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie ist auch ein Instrument, in dem und mit dem Gesundheits- und Sozialpolitik gemacht wird. Die DGSF wird daher gemeinsam mit der SG - unbesehen der beschriebenen inhaltlichen Positionen - bestrebt sein, die vorhandenen Spielräume im Psychotherapeutengesetz zu nutzen, und versuchen, auf dem Klagewege die Zulassung der Systemischen Therapie als Richtlinienverfahren zu erzwingen.
(Vorstand der DGSF, Januar 2003)