Community-Events im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung
Das 25-jährige Jubiläum der DGSF wurde am 4. Oktober 2025 im Berliner Spreespeicher gefeiert – und zugleich in der ganzen Stadt. Mitglieder luden zu selbstorganisierten Begegnungen ein, von Museumsbesuchen bis zu Gesprächsrunden. Über die Plattform BeUnity entstand so ein lebendiges Netz gemeinsamer Erlebnisse, das hier sichtbar wird.
Systemische Perspektiven auf Nähe und Distanz – Eindrücke von der Ausstellung "Close Enough"
Judith Susanna Eggers war Angebotspatin der Ausstellung "Close Enough" im C/O Berlin. Die Ausstellung zeigt noch bis Ende Januar 2026 „fotografische Arbeiten von zwölf Fotografinnen der renommierten Agentur Magnum Photos“ und greift dabei das berühmte Zitat des Magnum-Mitgründers Robert Capa auf: „If your pictures aren’t good enough, you’re not close enough.“ (Quelle: Close Enough | C/O Berlin, 23.10.2025).
„Faszinierend war zu erleben, wie unterschiedlich die Fotografinnen sich ihren Themen und den porträtierten Menschen näherten, ihre Arbeiten im Prozess weiterentwickelten und schließlich präsentierten. Entstanden ist eine Reihe bewegender Werke, die eindrucksvoll zeigen, welche Rolle die Fotografinnen selbst im jeweiligen System einnahmen und wie das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz künstlerisch reflektiert wurde.
Für mich war die Ausstellung eine Einladung, das Thema Nähe aus verschiedenen Positionen innerhalb eines Systems zu betrachten – als Beobachterin, als Beraterin, als Klient*in oder als weitere beteiligte Person. Wie in einem Tanz, in dem man sich einschwingt, einpendelt und spürt, dass es weit über die reine Haltung hinaus um Beziehung, Resonanz und Bewegung geht.“
Text: Judith Susanna Eggers, Wirtschaftspsychologin und systemische Beraterin
Bild: Blick auf die Internetseite von C/O Berlin (am 4. November 2025)
Ostdeutsche Familiengeschichten im Fokus: Lesung mit Sabine Michels und Dörte Grimm
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF e. V.) organsierten die Fachgruppe Armut und System mit dem Forum gesellschaftliches Engagement am 4. Oktober 2025 eine Lesung. Die Autorinnen und Filmemacherinnen Sabine Michels und Dörte Grimm präsentierten dabei ihre beiden aktuellen Bücher, „Die anderen Leben“ sowie „Es ist einmal“. Die Titel befassen sich auf eindringliche Weise mit den komplexen Beziehungen zwischen Eltern und Kind sowie Großeltern und Enkel in der Nachwendezeit.
Die Sprecher*innen des Forums und der Fachgruppe hatten die Idee, mit dieser Lesung den innerverbandlichen Dialog zur den Besonderheiten von Ostbiografien in den Fokus zu nehmen und damit einen Bezug zum Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung herzustellen.
In ihren zwei gemeinsamen Büchern unternahmen Michels und Grimm eine beeindruckende Spurensuche. Sie beleuchten, wie der tiefgreifende Umbruch nach 1989 die familiären Strukturen und die emotionalen Bindungen zwischen den Generationen prägte. Ihre Arbeit basiert auf zahlreichen, einfühlsam geführten Interviews, die persönliche Geschichten und Erlebnisse der Zeitzeugen detailliert aufzeigen. Dabei wird deutlich, wie sich tradierte Rollenbilder verschoben haben, welche neuen Herausforderungen im Familienalltag entstanden sind und wie sich die Kommunikation innerhalb der Familien veränderte. Besonders der Blick auf die Großeltern-Enkel-Beziehungen ist dabei aufschlussreich, da hier oft unterschiedliche Wertesysteme und Erfahrungen aus zwei politischen Systemen aufeinandertreffen und neu verhandelt werden müssen.
Rund vierzig Besucher*innen der Lesung, die in der Regel selbst im systemischen Feld tätig sind, lauschten den Ausführungen der beiden Autorinnen. Die Atmosphäre war geprägt von aufmerksamem, großem Interesse. Im Anschluss an die Lesung entspann sich eine lebhafte Diskussionsrunde. Die Zuhörer*innen stellten zahlreiche Fragen zur Entstehungsgeschichte der Bücher, zur methodischen Herangehensweise bei der Interviewführung und zu den Interpretationen der gewonnenen Erkenntnisse. Über die Besonderheiten von gesellschaftlichen Brüchen auf die Lebensläufe und Biografien in Ost und West in unserem Verband forderte die Diskussion weiter auf. Der rege Austausch zeigte eindrucksvoll, wie relevant das Thema für unsere gesamtdeutsche Gesellschaft ist und wie gut es den Autorinnen gelungen ist, die komplexen ostdeutschen gesellschaftlichen und familiären Dynamiken anschaulich und berührend darzustellen.
Die Lesung war ein herausragendes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche und literarische Arbeit dazu beitragen kann, gesellschaftliche Entwicklungen besser zu verstehen und für den weiteren fachlichen Diskurs von gesellschaftspolitischen Themen innerhalb er DGSF zu sensibilisieren.


Text: Frank Baumann-Habersack, Marlies Hinderhofer, Daniela Fritsch
Bilder: Sabine Michels (rechts) und Dörte Grimm (links) während der Lesung in Berlin
Grenzen und Übergänge – Verletzungen und Transformation
Ein co-kreatives systemisches Geh-Spräch entlang des Berliner Mauerwegs zwischen Adalbertstraße und Potsdamer Platz
Bei der Vorbereitung des Workshops begegne ich meiner 17-jährigen Version. Sie steht auf einer Aussichtsplattform in Kreuzberg und blickt nach Ost-Berlin. Neben mir ist der Jesuit und Arbeiterpriester Christian Herwartz. Er hat in der Naunynstraße 60 die „WG-Herwartz“ gegründet und arbeitet in Moabit am Band. „In dieser Wohnung wird etwas völlig Radikales gelebt: Jede*r kann hier so sein, wie er oder sie ist“, sagt eine*r der ehemaligen Bewohner*innen. Oben auf der Aussichtsplattform im Sommer 1984 sagt Herwartz: „An der Grenze zwischen Zehlendorf und Kreuzberg kommen mehr Menschen um, als an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin.“

An Grenzen sterben Menschen. Übergänge werden verweigert. Es gibt keinen leichten Übergang zwischen Ost und West, zwischen Reichtum in Zehlendorf und Armut in Kreuzberg. Keinen leichten Übergang zwischen verschiedenen Sexualitäten, geschlechtlichen Identitäten oder gesellschaftlichen Körperbildern (meine späteren beruflichen Themen). Meine 17-jährige Version spürt das bereits – ohne Worte dafür zu haben. Im Sommer 1984 gilt Homosexualität noch immer als psychische Erkrankung. Es gilt der Strafrechtsparagraph 175.
Im Sommer 2025, 41 Jahre später, reise ich in den Naturpark Gantrisch in die Schweiz, um an einer meditativen Bergauszeit teilzunehmen. Wieder begegne ich meiner 17-jährigen Version – und meinen Grenzen und Verletzungen. Verletzungen, die zwischen mir und anderen Menschen entstanden sind (weil Beziehungen nicht denkbar sind, ohne dass wir uns auch bei bester Absicht verfehlen und schwierige Gefühle und Schmerz entstehen). Die Naturarbeiter*innen geben mir eine Aufgabe: Wie geht die Natur mit Grenzen und Verletzungen um? Ihre Antwort: „Die Natur kennt keine Grenzen, nur Übergänge. Keine Verletzungen, nur Transformation.“
Aus diesen Erfahrungen entsteht die Idee für den Workshop beim DGSF-Jubiläum in Berlin: Biografische Selbstreflexion über eigene Grenzen und Verletzungen. Eine Verschiebung des Kontexts durch Naturerfahrung. Das gemeinsame Teilen von Erlebnissen. Und der offene Blick in unsere ungewissen Zu-künfte ("was kommen mag") – i see, i sense, i feel (ich sehe, ich spüre, ich fühle). Im besten Fall entsteht daraus mindestens eine neue Möglichkeit – jenseits des alten Musters.
Text und Bild: Mar*kus Chmielorz

