Maurice Malten im Interview

Was ist systemische Organisationsentwicklung? Anlässlich der Patenschaft im New Work Glossar von Neue Narrative haben wir DGSF-Mitglieder zu ihrem Verständnis von systemischer Organisationsentwicklung befragt.

Was bedeutet für dich systemische Organisationsberatung / Organisationsentwicklung, Maurice Malten?

Also, für mich ist systemische OE so wie das gemeinsame Aufräumen in einem Keller, den man lange nur noch von außen kannte. Es riecht vielleicht etwas modrig, die Lichtschalter kennt keiner mehr so richtig, aber irgendwo da drin liegen auch Schätze.Ich bringe keine Lösungen mit, sondern eher Fragen, Hypothesen, Spiegel. Systemische OE heißt für mich auch: gemeinsam ein Bild entwickeln, wie Organisation ‘Sinn’ organisiert – und wie sie sich dabei manchmal selbst blockiert.

Ich bringe Neugier mit, ein gutes Ohr und ein paar Taschenlampen. Und dann schau ich mit den Leuten zusammen, was da alles ist – an Beziehungen, an unausgesprochenen Regeln, an Dingen, die gut laufen und solchen, über die man lieber nicht spricht. Ich helfe eher beim Hinsehen und Sortieren, weniger beim „sagen, wo’s langgeht“. Veränderung, die von innen kommt, hält meist länger – und fühlt sich besser an. Manchmal staube ich in diesem Keller beim Begehen mit ein. Dann untersuchen wir gemeinsam, was für Partikel ich abbekommen habe und woher sie aus dem System kommen.

Was ist für dich “der Kern” des Systemischen?

Der Kern? Hmm… Wenn ich’s runterbrechen müsste, würd ich sagen: Nicht gleich wissen, sondern neugierig bleiben. Also nicht gleich ’ne Lösung aus der Tasche ziehen, sondern erst mal gucken, wie hier alles zusammenhängt. Wer beeinflusst wen? Welche Geschichte erzählen sich die Leute über ihre Probleme? Und vor allem: Was würde passieren, wenn wir diese Geschichte mal umdrehen? Im Kern bin ich auch manchmal kernig, in dem ich in den Prozessen auch meine Bewegungen und Beobachtungen zurückmelde. Im Kern heißt systemisch für mich auch: Ich bin nie neutral. Ich wirke immer mit – und das mache ich transparent. Die Kunst liegt darin, sich selbst als Beobachter:in mitzudenken, ohne sich in den Vordergrund zu stellen.

Was ist systemische OE NICHT? Was unterscheidet das Systemische von anderen Beratungsansätzen?

Systemische OE ist für mich kein Feuerwehr-Einsatz mit fertigen Rezepten. Ich komm nicht rein, wedel mit PowerPoint und erklär allen, wie’s geht, auch wenn das anfangs so erwartet wird (irgendwie trotz mehrfacher Benennung der Vorgehensweise J) Sondern ich hör zu, frag nach und helfe den Leuten, sich selbst wieder klarer zu sehen. Das unterscheidet’s halt von vielen klassischen Beratungsansätzen, wo von außen “die Lösung” kommt. Systemisch heißt für mich: mit den Menschen arbeiten, nicht über sie hinweg. Und diese Beziehungsarbeit ist nicht immer weich. Es heißt: strukturiert mit Unsicherheit umgehen. Die Dynamik des Systems ist der Co-Consultant – und wir brauchen Klarheit, damit wir sie halten können.

Was ist der Nutzen systemischer OE?

Wenn’s gut läuft, fühlen sich die Leute nach so ’nem Prozess nicht nur verstanden, sondern auch ermutigt. Die kriegen wieder Luft, sehen Optionen, entdecken Ressourcen, die sie vorher gar nicht mehr auf dem Schirm hatten. Nützliche systemische OE bringt sowohl Klarheit als auch Struktur im Kopf: Wer darf was entscheiden? Was darf (nicht) gesagt werden? Was passiert mit abweichenden Stimmen? – Das sind oft die heimlichen Stellschrauben der Veränderung.

What are the patterns that connect? Worin besteht der Zusammenhang von systemischer OE, systemischer Beratung, Therapie und systemischer Sozialarbeit?

Ich seh das wie ’ne Familie mit verschiedenen Geschwistern: Die systemische Therapie, OE, Beratung und Sozialarbeit – die sprechen alle die gleiche Sprache. Die denken in Wechselwirkungen, die fragen: „Wozu ist das gut?“ statt „Wofür ist das passiert?“ Und sie schauen halt nicht nur auf den Einzelnen, sondern aufs Ganze drumherum – auf das System. Der Unterschied liegt oft nur im Feld, in dem sie unterwegs sind. Aber die Haltung, also die Art und Weise wie ich mich und andere in der Welt wahrnehme – die ist ziemlich ähnlich.

Wozu ist es sinnvoll, sich in der DGSF gemeinsam zu organisieren?

Ganz ehrlich? Weil wir voneinander lernen können. Weil keiner von uns alles weiß – und weil das Systemische sich eben nicht gut alleine denken lässt. In der DGSF kommen Leute zusammen, die aus unterschiedlichsten Ecken kommen, aber alle das gleiche Grundgefühl haben: „Lass uns die Welt nicht mit Lösungen zupflastern, sondern zusammen besser verstehen.“ Und ganz nebenbei macht’s halt auch mehr Spaß, wenn man sich austauschen kann und merkt: Ich bin nicht allein mit meinem Denken. Gerade in spannenden Tagungen oder fachlichen Gruppen kann hier einiges zusammen bewegt werden.

Maurice' Weg begann als erster Akademiker in seiner Familie, der sich durch viele Hindernisse kämpfte und durch Mut und Entschlossenheit seinen Platz in der Welt der Beratung fand. Heute begleitet er Menschen und Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Eigenverantwortung durch verteilte Führungsarbeit und nachhaltigeren Lösungen, immer mit dem Ziel, ihnen zu helfen, über sich hinauszuwachsen und ihr volles Potenzial zu entfalten.

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