Veronika Sweet und Astrid Dobmeier im Interview

Was ist systemische Organisationsentwicklung? Anlässlich der Patenschaft im New Work Glossar von Neue Narrative haben wir DGSF-Mitglieder zu ihrem Verständnis von systemischer Organisationsentwicklung befragt.

Was bedeutet für euch systemische Organisationsberatung / Organisationsentwicklung, Veronika Sweet und Astrid Dobmeier?

Danke für die Einladung, das zu reflektieren. Das ist für uns immer wieder spannend - insbesondere mit und für systemisch interessierte und versierte Lesende. In der LeHrnenden Organisation kann prozessorientierte Begleitung aus der Begleitendensicht heißen: Eine Einladung im System und auch in uns, aus konstruktivistischer Sicht ein gemeinsames Verständnis zu generieren, worum es in der Beratung und Entwicklung geht und wofür diese dienlich sein kann. Step by step und immer wieder mit der orientierenden Frage: Was ist unser gemeinsames Verständnis der Ausgangssituation? Als Begleitende bringen wir die Expertise der Architekturgestaltung und Prozessbegleitung mit, üben uns in der lethologischen Haltung und reflektieren immer wieder aufs Neue in zirkulären Übungs-Hoops. Unser Ziel ist, dass das System selbst lernen kann und uns irgendwann nicht mehr braucht. Das Reflektieren von Wechseldynamiken und die Freude an Priorisierung von Kontakt und Dialog heißt für uns: Achtsame Kommunikation auf Augenhöhe, beteiligend, orientierend, reflektierend. In der LeHrnenden Organisation orientieren wir uns an den LeHrn-Hoops, die zirkulär zu verstehen sind und Reflexionskompetenz als Future Skill in den Systemen befördern.

Was ist für euch "der Kern" des Systemischen?

Was für eine spannende Frage! In der LeHrnenden Organisation gehen wir davon aus, dass sich der “Kern” immer wieder verformen und weiterentwickeln kann und wird. Und die Kunst der Prozessbegleitung darin besteht, sich dessen bewusst zu sein. Das Angebot an die Systeme lautet, gemeinsam zu reflektieren, inwiefern Ressourcenorientierung, Lösungsorientierung und das Generieren eines gemeinsamen Verständnisses zum Veränderungsanliegen durch wen welche Dynamiken auslöst. Und welchen Unterschied es machen kann, sich auf Augenhöhe zu bewegen und das Anliegen des Gegenübers wertschätzend zu hören. Auch in großen Transformationsprozessen hilft das Bild des Mobiles: einzelne Akteure, Sub-Teams und ganze Organisationen schwingen und verändern sich – ständig, und wir natürlich auch. Hier schätzen wir sehr, in Tandem-Reflexionen die Kybernetik einzuladen und auch unseren Mustern immer wieder auf die Spur zu kommen.

Was ist systemische Organisationsentwicklung NICHT? Was unterscheidet das Systemische von anderen Beratungsansätzen?

Spannend, aus systemischer Sicht nach dem NICHT zu fragen, das tun wir eher selten. Systeme, die mit uns arbeiten, erleben den Unterschied darin, dass Entschleunigung, Genauigkeit und das Aufmerksamsein für Kommunikation und Dynamiken erst einmal irritieren und frustrieren kann. Während “Trainings” aus Expertenhaltungssicht häufig schnelle Mikro-Lösungen oder effzientes, optimierendes Verhalten versprechen, setzen wir in der systemischen Organisationsentwicklung auf nachhaltiges LeHrnen, das wir wissenschaftlich erforschen. Nicht selten treffen wir in Organisationen auf ehemalige Studierende, die das LeHrnen aus unseren Kursen so verinnerlicht haben, dass sie das in die Organisation tragen wollen. In Veränderungsprozessen arbeiten wir häufig mit interner HR-Expertise oder auch mit externen Expertenberatungen zusammen, die ebenfalls Aufträge in der Organisation haben – und erleben das als große Ressource und durchaus als belebend für alle Seiten. Als Unterschied wird hier oft auch benannt, dass wir keine skalierbaren Methodenwunder versprechen, die immer Anwendung finden können. Keine Hacks, keine Tools. Versprochen wird gar nichts. Dazu sind menschliche und soziale Systeme viel zu komplex. Systemische Organisationsentwicklung bedeutet für uns nicht nur Arbeit FÜR ein System, sondern MIT dem System, das kostet das System selbst viel Arbeit, Zeit und Geld – und braucht Mut der Entscheidenden.

Was ist der Nutzen systemischer Organisationsentwicklung?

Das ist eine der wichtigsten Fragen, die wir immer wieder mit den Organisationen selbst in Kontakt bringen. Bevor wir überhaupt Aufträge annehmen, gestalten wir hier hierarchieübergreifend Prologe. Per se gibt es keinen Nutzen – der Nutzen soll für das System selbst spürbar und erlebbar sein. Wir fragen Schritt für Schritt und je nach Aufträgen von Einzelnen, Sub-Systemen oder Gesamtorganisation: Was sind Gelingensbeispiele, welche Muster zeigen sich und wofür sind diese dienlich oder weniger nützlich, bezogen worauf. Der Nutzen besteht für uns darin, die Freude am Ausprobieren und die Lust auf Kontakt, Dialog und gemeinsames LeHrnen zu befördern und nachhaltig erlebbar zu machen.

What are the patterns that connect? Worin besteht der Zusammenhang von systemischer Organisationsentwicklung, systemischer Beratung, Therapie und systemischer Sozialarbeit?

Was vereint ist: Die Haltung, die Grundsätze und die Limitationen der Veränderungsfähigkeit von Systemen. In unseren Veröffentlichungen beschreiben wir auch die Notwendigkeit der Kontextsensibilisierung. Es gilt sich gewahr zu sein: Systemische Therapie ohne Auftrag in einem organisationalen Umfeld ist Themaverfehlung, Kontextkompetenz und Kommunikationsflexibilität als Beratende zu erlangen und darin flexibel zu sein halten wir genauso für essentiell wie Humor. Gleichzeitig hilft es in der Beratung, familientherapeutisches Erfahrungswissen und systemtheoretische Überlegungen zusammenzubringen und zu reflektieren – vor allem im Beratendensystem.

Wozu ist es sinnvoll, sich in der DGSF gemeinsam zu organisieren?

Gute Frage, hier würden wir zurückfragen: Wer ist die DGSF, wer ist damit gemeint? Und: Wofür wäre es für die Entscheidenden relevant? Welche Ziele sollen damit erreicht werden, wozu und für wen ist das sinnvoll? Wofür lohnt es sich aus der Mitgliedersicht, die Monatsbeiträge zahlen? Oder: Wofür ist ein gemeinsames Organisieren für uns als Systemisch Lehrende hilfreich? Wofür für Institute, für Weiterbildungsteilnehmende? Oder: Was könnte das Organisieren aus wirtschaftspolitischer und gesellschaftspolitischer Sicht bedeuten? Gerade in wachsenden Organisationen – und die DGSF wächst und wächst, wie wir erfahren dürfen – sind Sinngebungen höchst unterschiedlich. Wir laden ein zu fragen und in strukturierten Dialog zu bringen: Wofür hätte sich das gemeinsame Organisieren für wen und warum gelohnt? Und, unbedingt auch: für wen nicht – und warum?

Foto: Veronika Sweet (links) und Astrid Dobmeier

Publikationen

Auf Einladung der Zeitschrift für Organisationsentwicklung ZOE haben Astrid Dobmeier und Veronika Sweet die Prinzipien des LeHrnens publiziert.

Für vertiefende Informationen zur lehrnende Organisation wird um Kontaktaufnahme gebeten. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich für die MasterClass 2026 vormerken zu lassen.

Im peer-reviewed International Journal of Multidisciplinary Research and Growth Evaluation gab es im Oktober 2025 zu ReflAct, der englischsprachigen Variante von LeHrnen, eine Publikation: Search - International Journal of Multidisciplinary Research and ...

Und auch als Nachlese zur Einladung an die Sorbonne ist ein Artikel hier zu finden, ebenso zu ReflAct an ein globales, englischsprachiges Publikum gerichtet: Experiencing REFLACT: A Workshop Practicing What It Proposes From Theory to Embodied Teaching-Learning Experiences in Complex Contexts - The IAFOR Research Archive

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